Meinung (SEITE IN ARBEIT)

Kirchenaustritte sind die einzig richtige Reaktion

Die Austrittszahlen bestätigen, was die katholische Kirche noch nicht begriffen hat: dass sie gegen den sexuellen Missbrauch durch Priester konsequent vorgehen müsste.

Im letzten Jahr traten in der Schweiz über 60’000 Menschen aus der katholischen oder der reformierten Kirche aus. In anderen Ländern wie Deutschland sieht es ähnlich aus. Die Austritte nähmen immer dann stark zu, sagt Stefan Amrein von «Kirchenaustritt Schweiz», wenn die Medien neue Skandale über sexuellen Missbrauch der Kirchen überbrächten.

Sie können es nicht mehr hören, wenn Priester, Bischöfe, Kardinäle und sogar der Papst bestürzt reagieren, erschrocken, empört oder fassungslos; wenn sie beteuern, so etwas dürfe nie mehr vorkommen; wenn sie sagen, die katholische Kirche sei für den Schutz der Schwachen da. Und wenn sie dann trotzdem nichts gegen jene unternehmen, welche diese Schwachen ausnutzen, einschüchtern und für ihre eigene Gier missbrauchen.

Stattdessen wird die Öffentlichkeit beschwichtigt. Seit Wochen, Monaten, Jahren und Jahrzehnten. Die katholische Kirche reagiert immer noch gleich auf immer neu bekannt werdende Fälle, in denen Priester sich an Kindern und Jugendlichen vergangen haben. Worauf die meisten Täter, wenn überhaupt, auf einen anderen Posten abgeschoben wurden, wo sie ihre Neigung weiter ausleben durften. Kaum je wurde die Polizei informiert.

Selbst jetzt verharrt die Kirche im Ankündigungsmodus. Man wolle informieren, heisst es, diskutieren, Hilfe anbieten, einen Kulturwandel einleiten, eine untersuchende Kommission gründen, mit anderen Worten: Man will weitermachen wie bisher. Also nichts tun. Dabei wären die Lösungen einfach zu haben, wenn auch für die Kirchen schmerzhaft zu vollziehen: Fehlbare Priester entlassen und anzeigen; unabhängige Meldestelle mit Personal und Entscheidungsbefugnis schaffen; und so bald als möglich das Zölibat abschaffen.

Papst Franziskus hat sich zwar für die Skandale entschuldigt, aber wie immer ohne einzugreifen. Stattdessen lobte er seinen Vorgänger Benedikt, der zu Abertausenden von Missbräuchen geschwiegen hatte. Es kommt einem vor, als sähe sich die katholische Kirche immer noch als eine ausserrechtliche Organisation, immun gegen die Prinzipien der Zivilgesellschaft. Wie man es von der Mafia kennt.

Dabei führt sexueller Kindesmissbrauch bei den Opfern zu schweren, oft lebenslangen Traumen. Er kann Drogensucht, Beziehungsunfähigkeit, Depressionen bis hin zu Psychosen und Suiziden auslösen. Ausserdem fühlen sich viele Opfer dazu noch schuldig. Das nämlich haben ihre Peiniger ihnen eingeredet.

Die Pädosexualität ist eine komplexe psychische Störung. Bei den einen ist das Bedürfnis, mit Kindern Sex zu haben, genetisch festgeschrieben. Der Betroffene muss seine Wünsche sein Leben lang unterdrücken. Beziehungsweise er darf sie nur in der Fantasie ausleben, in der alles erlaubt bleibt, solange es nicht in eine Realität umschlägt. In anderen tragischen Fällen sind die Täter selber Opfer gewesen. Und lösen bei anderen das Trauma aus, das sie selber durchlitten haben. Dann gibt es wieder andere, die nicht auf Kinder fixiert sind, aber trotzdem solche Übergriffe vollziehen.

Wie eine überwältigende Zahl bekannt gewordener Missbrauchsfälle belegt, konnten katholische Priester sich jeweils alle Zeit nehmen, das Vertrauen der ihnen anvertrauten Kinder zu gewinnen, ihre Eltern zu beschwichtigen – und sich dann an den Jugendlichen sexuell zu vergehen, ohne eine Strafe fürchten zu müssen.

Und solange sich das nicht ändert, bleiben der Kirchenaustritt und die Verweigerung von Zahlungen an die Kirche eine nicht nur legitime, sondern zwingende Reaktion. Denn eine Kirche, die sogar ihre Kinder nicht schützt, sondern in grosse Gefahr bringt, haben die Gläubigen nicht verdient.