Anna Telnaes, deren Karikatur unter ihrem Chef Jeff Bezos verboten wurde, trat wegen der Zensur zurück. Am Dienstag berichtete sie in Genf darüber.
«Ich will bloss meinen Job machen», sagt sie gegen Ende des Gesprächs vor vollen Rängen in Genf. Aber ihren Job konnte die Karikaturistin nicht mehr ausüben, jedenfalls nicht so, wie sie ihn gemacht hatte. Ann Telnaes hat 24 Jahre für die «Washington Post» gezeichnet und für ihre Arbeit zweimal den Pulitzerpreis bekommen, die höchste journalistische Auszeichnung der USA.
Es sei immer wieder vorgekommen, sagte die 64-Jährige, die heute in Luzern am Swiss Media Forum auftreten wird, dass Leute aus der Redaktion Änderungen verlangt hätten, und sie habe keine Probleme damit gehabt. Aber ein barsches «Nein» komme für sie der Zensur gleich. Mit ihr sind viele namhafte Autorinnen gegangen, und es gab mehrere offene Briefe, die Jeff Bezos, Besitzer der «Post», an sein Eintrittsversprechen erinnert haben: Dass er nämlich die publizistische Unabhängigkeit der Zeitung wahren würde. Im Gegenteil: Mehrmals griff Jeff Bezos in den journalistischen Kurs der «Washington Post» ein. Er hinderte die Zeitung zum Beispiel daran, sich für Kamala Harris als demokratische Präsidialkandidatin auszusprechen.
In der umstrittenen Karikatur, die im Januar erschien, zeigt die Zeichnerin die Tech-Milliardäre Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und andere, die vor eine steinerne Statue von Donald Trump knien und ihm Geldsäcke darbieten wie bei einem Opfer-Ritual. Auch eine Disney-Figur liegt zu Boden. Die einzige direkte Folge des Verbots: Jetzt haben alle die Karikatur gesehen. Oder erst von ihr erfahren.
Ann Telnaes lässt sich in Genf vom westschweizerischen Kollegen Patrick Chappatte interviewen, der sie im Namen der «Fondation Freedom Cartoons» eingeladen hat. Die Fondation spielt zu Beginn des Abends einen Film ab, der die Zeichnerin bei ihrer Arbeit zeigt, sie hat einen eleganten Stil. Und obwohl sie zurückhaltend und feingliedrig wirkt, sucht sie ihre Pointen im Übermässigen. Donald Trump ist nie anders zu sehen denn als Wanst, als gefrässiger Riese oder als ein gigantisches Fischmaul, auf das ein verängstigter Abraham Lincoln zuschwimmt. Man mag ihr vorwerfen, dass sie mit ihren Übertreibungen, nun, übertrieb. Aber sie hat einen scharfen Bildwitz, und man muss über ihre Zeichnungen lachen. Zumindest gilt das für die Demokraten.
Es fehlen dem Film, in dem alle druckreif reden und attraktiv formulieren wie immer in Amerika, jegliche kritische Stimmen an die Adresse von Trumps Gegnern oder jene Stimmen, die Trumps Vorgehen erklären würden. Stattdessen wird ein ums andere Mal aufgezeigt, dass das Wahlsystem die Armen und Afroamerikaner benachteiligt, dass die Verfassung veraltet und fast nicht zu reformieren ist und dass Amerika auf eine Plutokratie zusteuert, in der die Reichen das Sagen haben.
Dennoch fasziniert am meisten, dass der fünftreichste Mann der Welt in seiner Zeitung Kaderleute beschäftigt, die sich dermassen über eine Karikatur aufregen, dass sie deren Publikation verbieten lassen. Dass Tech-Unternehmer wie Zuckerberg oder Bezos den Wahlkampf von Donald Trump mit hohen Beträgen unterstützen, ist ja bekannt.
Aber um ein dermassen kontraproduktives Verhalten zu verstehen, wie es Telnaes widerfuhr, muss man die Psychologie der Macht verstehen. Mächtige Männer – Frauen sind nicht anders, aber seltener – sind davon überzeugt, ihre Macht der eigenen Brillanz zu verdanken und nicht einer Kombination aus Opportunismus, Glück und Korruption. Und je mächtiger solche Mächtigen werden, desto mehr umgeben sie sich mit Schmeichlern und desto stärker verlieren sie auch den Kontakt zur Normalität.
Je mehr Macht zum Beispiel Politiker bekommen, desto mehr haben sie Angst, ausgelacht zu werden. Sie halten es nicht aus, weil es sie beim Sich-wichtig-Fühlen stört. Noch weniger können sich Diktatoren Humor leisten, weil der zum Relativieren neigt, also infrage stellt, was viele Herrscher für sich beanspruchen: den Anspruch auf Wahrheit, den Ausschluss von Widerspruch, die Verehrung aus Prinzip. Humorlosigkeit gehört bei Diktatoren zum Jobprofil.
Und da die Karikatur das Offensichtliche zuerst erkennt und mächtige Männer eitel sind, reagieren sie besonders gekränkt auf solche Zeichnungen. Auch demokratisch gewählte Präsidenten, die etwas von freier Presse verstehen sollten, reagieren mitunter unwirsch. Der damalige «Le Monde»-Chefredaktor Eric Fottorino staunte, als sein Telefon klingelte und ein Beamter ihm erklärte, «je vous passe le Président». Dabei hatte Nicolas Sarkozy nichts anderes auszudrücken als seinen Ärger, den er über die Zeichnungen von Plantu empfand, dem Hauskarikaturisten von «Le Monde». Plantu war selig.
Nach dem Attentat wegen der dänischen Mohammed-Karikaturen beschloss Plantu, mit Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt über ihre Erfahrungen zu reden. Dabei wurde ihm bald klar, dass es zwischen Demokratien und Diktaturen noch grosse Unterschiede gibt. In anderen Ländern rief der Präsident nicht beim Karikaturisten an, sondern es kam die Polizei. Es folgten Verurteilung, Berufsverbot, Gefängnisstrafen, Folter. Bei den ersten freien Wahlen in Algerien kam die Polizei schon am ersten Abend auf die Redaktion der grössten Zeitung und vernichtete die gesamte Auflage. Die Redaktion war auf die Idee gekommen, eine Zeichnung des neuen Präsidenten anfertigen zu lassen. Andere Karikaturisten wie Akran Raslan starben in Syrien unter der Folter.
Den überraschendsten Anruf bekam Michael Slatkowsky, ein russischer Karikaturist mit jahrzehntelangem Berufsverbot. Am Telefon meldete sich ein hoher Beamter des KGB und bestellte Zeichnungen von ihm. Damals leitete Michail Gorbatschow die Sowjetunion, und Slatkowsky glaubte, dass das mit Glasnost und Perestroika stimme, also wirklich. An welche Zeitung er die Zeichnungen schicken sollte, fragte er. Die seien nicht für Russland, sagte der KGB-Mann: «Die sind nur für den Westen.»
Am besten machte es ausgerechnet Slobodan Milošević, der ehemalige Präsident von Serbien. Der Karikaturist Corax attackierte die serbische Kriegsregierung ohne Unterlass und wurde in seiner Heimat gefeiert wie ein Held. Frage an Patrick Chappattte: Wie hatte Milošević auf die Zeichnungen von Corax reagiert? «Er hat ihn gewähren lassen. Denn er merkte zu Recht, dass die Zeichnungen wie ein Ventil funktionierten. Und immer wenn Leute aus dem Westen kamen, konnte er ihnen seine Pressefreiheit vorführen.»
https://jmbuettner.ch/wp-content/uploads/2024/04/JMB-LOG-transparent-80x80.png00Jean-Martin Büttnerhttps://jmbuettner.ch/wp-content/uploads/2024/04/JMB-LOG-transparent-80x80.pngJean-Martin Büttner2025-05-15 03:54:492025-05-16 08:53:21Milošević machte es besser als Bezos – Warum die Mächtigen so Mühe mit Karikaturen haben
Muss die Demokratie neu gedacht werden? Braucht unsere Verfassung eine Untertitelung? Haben wir bald 200 Jahre lang falsch abgestimmt, ohne es zu merken?
Die Sorgen sind nicht unbegründet. Darauf weist eine Zuschrift hin, welche die Stadt Zürich dem Couvert über die kommenden Abstimmungen beigelegt hat. Denn die Stadt ist zum Schluss gekommen, wir zitieren: «Alle Stimmberechtigten sollen ohne Barrieren abstimmen können. Die Abstimmungs-Informationen sollen deshalb für alle Stimmberechtigten verständlich sein.» Weshalb die Stadt ihr Informations-Angebot «mit Texten in leichter Sprache und mit «Erklär-Videos» ergänzt. Die «leichte Sprache» ist grün, die «Erklärungsvideos» sind blau unterlegt, damit wir die beiden nicht verwechseln.
Die Vorlagen in leichter Sprache sind in Hauptsätzen formuliert, wie man sie Kindern überbringt. Und wir lesen:
Aber der Flug-Verkehr hat auch Nachteile. Die Flugzeuge machen Lärm. Und sie stossen viele Abgase aus.
Dieser Text sei in leichter Sprache geschrieben, steht über dem Text. Und er sei «rechtlich nicht verbindlich».
So gut man das Bemühen der Stadt findet, ohne Barrieren zum Stimmbürger und zur Stimmbürgerin vorzudringen, so schwer lassen sich ihre sprachlichen Erleichterungen anders lesen als mit einem Gefühl der Entwertung. Unsere Vorlagen sind komplex, signalisieren sie. Die verstehst du von alleine nicht.
Und was heisst das für die Abstimmungen vor der Abstimmung, die im Mai zur Abstimmung kommt? Haben wir vorgängigen Vorlagen zuwenig verstanden und deshalb in Unkenntnis ihrer Absichten abgestimmt?
Je länger man über das Problem nachdenkt, desto stärker kommt ein Gefühl der Irritation auf. Und mit ihm die Frage: Ist denn die Verständlichkeit der Politik in einer direkten Demokratie nicht ein Ziel, sondern die Voraussetzung?
https://jmbuettner.ch/wp-content/uploads/2024/04/JMB-LOG-transparent-80x80.png00Jean-Martin Büttnerhttps://jmbuettner.ch/wp-content/uploads/2024/04/JMB-LOG-transparent-80x80.pngJean-Martin Büttner2025-04-28 12:50:212025-04-29 14:59:37Zürich wird verständlich
Der jüdische Komiker Larry David fantasiert in der «New York Times» einen Empfang bei Adolf Hitler herbei. Darf er das? Und vor allem: Was will er damit sagen?
Vor kurzem überraschte ein Komiker seine Zeitung mit einem Text, den er zur Veröffentlichung einsandte. Der Komiker heisst Larry David und wurde durch seine bösartige Serie «Curb Your Enthusiasm» (Zügeln Sie Ihre Begeisterung) weltbekannt. Und die Zeitung ist die «New York Times».
Patrick Healy, der für ihre Meinungsseite arbeitet, ist sich einiges von Larry David gewohnt. Denn dieser gehört als Komiker der Schule von Kurt Tucholsky an, der einmal fragte und antwortete: «Was darf die Satire? Alles.»
Und doch war der «New York Times»-Redaktor nicht gefasst auf das, was Larry David ihm zuletzt schickte: In seinem Text stellte er sich vor, er sei 1939 von Adolf Hitler in dessen Residenz zum Nachtessen empfangen worden. Und wie heiter, angenehm und geistreich der Abend verlaufen sei. Hitler habe sich sehr für ihn interessiert, schreibt er.
Dann habe er von seinem Hund erzählt, der im Reichstag Durchfall gehabt habe. Und gesagt: «Wenn ich schon Juden, Zigeuner und Homosexuelle töten lassen kann, dann kann ich doch meinen Hund erschiessen.» Das habe für grosse Heiterkeit am Tisch gesorgt, an dem neben Hermann Göring auch Heinrich Himmler, der Duke of Windsor und Leni Riefenstahl gesessen hätten.
Am Schluss des Abends, schreibt David weiter, habe er dem Führer mit dem Hitlergruss salutiert und ihm gesagt: «Obwohl wir in vielen Themen anderer Meinung sind, mein Führer, müssen wir uns deswegen nicht hassen.»
Die «New York Times» hat den Text publiziert, trotz offensichtlicher Bedenken: Wird Hitler damit nicht zur Pointe verharmlost? Gehört es nicht zum rechtsextremen Relativierungsarsenal, die menschliche Seite von Kriegsverbrechern vorzuzeigen? Man könnte auch fragen: Selbst wenn die Satire alles darf: Muss sie denn auch alles sagen?
Zu Davids Hitlerbesuch muss man wissen, dass der Mann nicht nur als Komiker auftritt, sondern als obsessiv jüdischer Komiker. Man kennt die Einwände: Es gibt keinen jüdischen Humor, das ist nichts anderes als ein philosemitisches Klischee und verbreitet damit Antisemitismus mit positivem Vorzeichen.
Aber bei Larry David stimmt es: In seiner Serie lässt der New Yorker keine Gelegenheit zum satirischen Jüdischsein aus. In einzelnen Folgen von «Curb Your Enthusiasm» hat er heilige Kriege ausgerufen, sich als «self-hating Jew» bezeichnet, der gerne Wagner hört, einen schwulen, kommunistischen Juden im KZ als «quite a combo» bezeichnet und mit einer schönen Palästinenserin Sex gehabt, die ihm sagte, sie wolle das mit ihm machen, was sein Volk ihrem Volk antue.
So einer ist Larry David, der sich ein Dinner bei Adolf Hitler vorstellt. Warum tut er das? Patrick Healy, der Meinungsmann der «New York Times», erklärt den Kontext: Larry David reagiere damit auf seinen satirischen Kollegen Bill Maher, den er sonst schätze und über den er sich derzeit aufrege. So gab Maher kürzlich im Fernsehen bekannt, er habe sich mit Donald Trump zum Essen getroffen und diesen als «gracious and measured» empfunden, wohlwollend und massvoll.
Wir Schweizer denken etwas weiter, wenn wir Larry Davids Besuch bei Adolf Hitler nachverfolgen. Nämlich an das Lied von Franz Hohler, dem Schweizer Satiriker, bei dem man nur den Titel hören muss, um sich den ganzen Song vorzustellen, und der Titel lautet: «Sie sind alle so nett».
Josef Stalin liess sich zu «Väterchen Stalin» verkitschen. Pol Pot war als Lehrer für sein Lachen bekannt. Idi Amin fiel als Offizier mit seinem witzigen Charakter auf. Möglicherweise gibt es nicht nur die Banalität des Bösen, wie Hannah Arendt zum Prozess von Adolf Eichmann schrieb, sondern auch die Bösen mit Heiterkeit. Und dem netten Empfang. Und den guten Tischmanieren.
Das ist es wohl, woran Larry David uns erinnert: dass zum Schlimmsten der Schrecklichen gehört, dass man ihnen das nicht immer anmerkt. Darum können sie es auch mit allen. Und machen jeden zum Komplizen, der bei ihnen am Tisch sitzt. Und mitlacht.
„Aargauer Zeitung“ von 25. April 2025
https://jmbuettner.ch/wp-content/uploads/2024/04/JMB-LOG-transparent-80x80.png00Jean-Martin Büttnerhttps://jmbuettner.ch/wp-content/uploads/2024/04/JMB-LOG-transparent-80x80.pngJean-Martin Büttner2025-04-25 05:13:132025-05-16 08:50:53Zum Znacht bei Hitler
Milošević machte es besser als Bezos – Warum die Mächtigen so Mühe mit Karikaturen haben
Anna Telnaes, deren Karikatur unter ihrem Chef Jeff Bezos verboten wurde, trat wegen der Zensur zurück. Am Dienstag berichtete sie in Genf darüber.
«Ich will bloss meinen Job machen», sagt sie gegen Ende des Gesprächs vor vollen Rängen in Genf. Aber ihren Job konnte die Karikaturistin nicht mehr ausüben, jedenfalls nicht so, wie sie ihn gemacht hatte. Ann Telnaes hat 24 Jahre für die «Washington Post» gezeichnet und für ihre Arbeit zweimal den Pulitzerpreis bekommen, die höchste journalistische Auszeichnung der USA.
Es sei immer wieder vorgekommen, sagte die 64-Jährige, die heute in Luzern am Swiss Media Forum auftreten wird, dass Leute aus der Redaktion Änderungen verlangt hätten, und sie habe keine Probleme damit gehabt. Aber ein barsches «Nein» komme für sie der Zensur gleich. Mit ihr sind viele namhafte Autorinnen gegangen, und es gab mehrere offene Briefe, die Jeff Bezos, Besitzer der «Post», an sein Eintrittsversprechen erinnert haben: Dass er nämlich die publizistische Unabhängigkeit der Zeitung wahren würde. Im Gegenteil: Mehrmals griff Jeff Bezos in den journalistischen Kurs der «Washington Post» ein. Er hinderte die Zeitung zum Beispiel daran, sich für Kamala Harris als demokratische Präsidialkandidatin auszusprechen.
In der umstrittenen Karikatur, die im Januar erschien, zeigt die Zeichnerin die Tech-Milliardäre Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und andere, die vor eine steinerne Statue von Donald Trump knien und ihm Geldsäcke darbieten wie bei einem Opfer-Ritual. Auch eine Disney-Figur liegt zu Boden. Die einzige direkte Folge des Verbots: Jetzt haben alle die Karikatur gesehen. Oder erst von ihr erfahren.
Ann Telnaes lässt sich in Genf vom westschweizerischen Kollegen Patrick Chappatte interviewen, der sie im Namen der «Fondation Freedom Cartoons» eingeladen hat. Die Fondation spielt zu Beginn des Abends einen Film ab, der die Zeichnerin bei ihrer Arbeit zeigt, sie hat einen eleganten Stil. Und obwohl sie zurückhaltend und feingliedrig wirkt, sucht sie ihre Pointen im Übermässigen. Donald Trump ist nie anders zu sehen denn als Wanst, als gefrässiger Riese oder als ein gigantisches Fischmaul, auf das ein verängstigter Abraham Lincoln zuschwimmt. Man mag ihr vorwerfen, dass sie mit ihren Übertreibungen, nun, übertrieb. Aber sie hat einen scharfen Bildwitz, und man muss über ihre Zeichnungen lachen. Zumindest gilt das für die Demokraten.
Es fehlen dem Film, in dem alle druckreif reden und attraktiv formulieren wie immer in Amerika, jegliche kritische Stimmen an die Adresse von Trumps Gegnern oder jene Stimmen, die Trumps Vorgehen erklären würden. Stattdessen wird ein ums andere Mal aufgezeigt, dass das Wahlsystem die Armen und Afroamerikaner benachteiligt, dass die Verfassung veraltet und fast nicht zu reformieren ist und dass Amerika auf eine Plutokratie zusteuert, in der die Reichen das Sagen haben.
Dennoch fasziniert am meisten, dass der fünftreichste Mann der Welt in seiner Zeitung Kaderleute beschäftigt, die sich dermassen über eine Karikatur aufregen, dass sie deren Publikation verbieten lassen. Dass Tech-Unternehmer wie Zuckerberg oder Bezos den Wahlkampf von Donald Trump mit hohen Beträgen unterstützen, ist ja bekannt.
Aber um ein dermassen kontraproduktives Verhalten zu verstehen, wie es Telnaes widerfuhr, muss man die Psychologie der Macht verstehen. Mächtige Männer – Frauen sind nicht anders, aber seltener – sind davon überzeugt, ihre Macht der eigenen Brillanz zu verdanken und nicht einer Kombination aus Opportunismus, Glück und Korruption. Und je mächtiger solche Mächtigen werden, desto mehr umgeben sie sich mit Schmeichlern und desto stärker verlieren sie auch den Kontakt zur Normalität.
Je mehr Macht zum Beispiel Politiker bekommen, desto mehr haben sie Angst, ausgelacht zu werden. Sie halten es nicht aus, weil es sie beim Sich-wichtig-Fühlen stört. Noch weniger können sich Diktatoren Humor leisten, weil der zum Relativieren neigt, also infrage stellt, was viele Herrscher für sich beanspruchen: den Anspruch auf Wahrheit, den Ausschluss von Widerspruch, die Verehrung aus Prinzip. Humorlosigkeit gehört bei Diktatoren zum Jobprofil.
Und da die Karikatur das Offensichtliche zuerst erkennt und mächtige Männer eitel sind, reagieren sie besonders gekränkt auf solche Zeichnungen. Auch demokratisch gewählte Präsidenten, die etwas von freier Presse verstehen sollten, reagieren mitunter unwirsch. Der damalige «Le Monde»-Chefredaktor Eric Fottorino staunte, als sein Telefon klingelte und ein Beamter ihm erklärte, «je vous passe le Président». Dabei hatte Nicolas Sarkozy nichts anderes auszudrücken als seinen Ärger, den er über die Zeichnungen von Plantu empfand, dem Hauskarikaturisten von «Le Monde». Plantu war selig.
Nach dem Attentat wegen der dänischen Mohammed-Karikaturen beschloss Plantu, mit Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt über ihre Erfahrungen zu reden. Dabei wurde ihm bald klar, dass es zwischen Demokratien und Diktaturen noch grosse Unterschiede gibt. In anderen Ländern rief der Präsident nicht beim Karikaturisten an, sondern es kam die Polizei. Es folgten Verurteilung, Berufsverbot, Gefängnisstrafen, Folter. Bei den ersten freien Wahlen in Algerien kam die Polizei schon am ersten Abend auf die Redaktion der grössten Zeitung und vernichtete die gesamte Auflage. Die Redaktion war auf die Idee gekommen, eine Zeichnung des neuen Präsidenten anfertigen zu lassen. Andere Karikaturisten wie Akran Raslan starben in Syrien unter der Folter.
Den überraschendsten Anruf bekam Michael Slatkowsky, ein russischer Karikaturist mit jahrzehntelangem Berufsverbot. Am Telefon meldete sich ein hoher Beamter des KGB und bestellte Zeichnungen von ihm. Damals leitete Michail Gorbatschow die Sowjetunion, und Slatkowsky glaubte, dass das mit Glasnost und Perestroika stimme, also wirklich. An welche Zeitung er die Zeichnungen schicken sollte, fragte er. Die seien nicht für Russland, sagte der KGB-Mann: «Die sind nur für den Westen.»
Am besten machte es ausgerechnet Slobodan Milošević, der ehemalige Präsident von Serbien. Der Karikaturist Corax attackierte die serbische Kriegsregierung ohne Unterlass und wurde in seiner Heimat gefeiert wie ein Held. Frage an Patrick Chappattte: Wie hatte Milošević auf die Zeichnungen von Corax reagiert? «Er hat ihn gewähren lassen. Denn er merkte zu Recht, dass die Zeichnungen wie ein Ventil funktionierten. Und immer wenn Leute aus dem Westen kamen, konnte er ihnen seine Pressefreiheit vorführen.»
Zürich wird verständlich
Muss die Demokratie neu gedacht werden? Braucht unsere Verfassung eine Untertitelung? Haben wir bald 200 Jahre lang falsch abgestimmt, ohne es zu merken?
Die Sorgen sind nicht unbegründet. Darauf weist eine Zuschrift hin, welche die Stadt Zürich dem Couvert über die kommenden Abstimmungen beigelegt hat. Denn die Stadt ist zum Schluss gekommen, wir zitieren: «Alle Stimmberechtigten sollen ohne Barrieren abstimmen können. Die Abstimmungs-Informationen sollen deshalb für alle Stimmberechtigten verständlich sein.» Weshalb die Stadt ihr Informations-Angebot «mit Texten in leichter Sprache und mit «Erklär-Videos» ergänzt. Die «leichte Sprache» ist grün, die «Erklärungsvideos» sind blau unterlegt, damit wir die beiden nicht verwechseln.
Die Vorlagen in leichter Sprache sind in Hauptsätzen formuliert, wie man sie Kindern überbringt. Und wir lesen:
Aber der Flug-Verkehr hat auch Nachteile.
Die Flugzeuge machen Lärm.
Und sie stossen viele Abgase aus.
Dieser Text sei in leichter Sprache geschrieben, steht über dem Text. Und er sei «rechtlich nicht verbindlich».
So gut man das Bemühen der Stadt findet, ohne Barrieren zum Stimmbürger und zur Stimmbürgerin vorzudringen, so schwer lassen sich ihre sprachlichen Erleichterungen anders lesen als mit einem Gefühl der Entwertung. Unsere Vorlagen sind komplex, signalisieren sie. Die verstehst du von alleine nicht.
Und was heisst das für die Abstimmungen vor der Abstimmung, die im Mai zur Abstimmung kommt? Haben wir vorgängigen Vorlagen zuwenig verstanden und deshalb in Unkenntnis ihrer Absichten abgestimmt?
Je länger man über das Problem nachdenkt, desto stärker kommt ein Gefühl der Irritation auf. Und mit ihm die Frage: Ist denn die Verständlichkeit der Politik in einer direkten Demokratie nicht ein Ziel, sondern die Voraussetzung?
Zum Znacht bei Hitler
Der jüdische Komiker Larry David fantasiert in der «New York Times» einen Empfang bei Adolf Hitler herbei. Darf er das? Und vor allem: Was will er damit sagen?
Vor kurzem überraschte ein Komiker seine Zeitung mit einem Text, den er zur Veröffentlichung einsandte. Der Komiker heisst Larry David und wurde durch seine bösartige Serie «Curb Your Enthusiasm» (Zügeln Sie Ihre Begeisterung) weltbekannt. Und die Zeitung ist die «New York Times».
Patrick Healy, der für ihre Meinungsseite arbeitet, ist sich einiges von Larry David gewohnt. Denn dieser gehört als Komiker der Schule von Kurt Tucholsky an, der einmal fragte und antwortete: «Was darf die Satire? Alles.»
Und doch war der «New York Times»-Redaktor nicht gefasst auf das, was Larry David ihm zuletzt schickte: In seinem Text stellte er sich vor, er sei 1939 von Adolf Hitler in dessen Residenz zum Nachtessen empfangen worden. Und wie heiter, angenehm und geistreich der Abend verlaufen sei. Hitler habe sich sehr für ihn interessiert, schreibt er.
Dann habe er von seinem Hund erzählt, der im Reichstag Durchfall gehabt habe. Und gesagt: «Wenn ich schon Juden, Zigeuner und Homosexuelle töten lassen kann, dann kann ich doch meinen Hund erschiessen.» Das habe für grosse Heiterkeit am Tisch gesorgt, an dem neben Hermann Göring auch Heinrich Himmler, der Duke of Windsor und Leni Riefenstahl gesessen hätten.
Am Schluss des Abends, schreibt David weiter, habe er dem Führer mit dem Hitlergruss salutiert und ihm gesagt: «Obwohl wir in vielen Themen anderer Meinung sind, mein Führer, müssen wir uns deswegen nicht hassen.»
Die «New York Times» hat den Text publiziert, trotz offensichtlicher Bedenken: Wird Hitler damit nicht zur Pointe verharmlost? Gehört es nicht zum rechtsextremen Relativierungsarsenal, die menschliche Seite von Kriegsverbrechern vorzuzeigen? Man könnte auch fragen: Selbst wenn die Satire alles darf: Muss sie denn auch alles sagen?
Zu Davids Hitlerbesuch muss man wissen, dass der Mann nicht nur als Komiker auftritt, sondern als obsessiv jüdischer Komiker. Man kennt die Einwände: Es gibt keinen jüdischen Humor, das ist nichts anderes als ein philosemitisches Klischee und verbreitet damit Antisemitismus mit positivem Vorzeichen.
Aber bei Larry David stimmt es: In seiner Serie lässt der New Yorker keine Gelegenheit zum satirischen Jüdischsein aus. In einzelnen Folgen von «Curb Your Enthusiasm» hat er heilige Kriege ausgerufen, sich als «self-hating Jew» bezeichnet, der gerne Wagner hört, einen schwulen, kommunistischen Juden im KZ als «quite a combo» bezeichnet und mit einer schönen Palästinenserin Sex gehabt, die ihm sagte, sie wolle das mit ihm machen, was sein Volk ihrem Volk antue.
So einer ist Larry David, der sich ein Dinner bei Adolf Hitler vorstellt. Warum tut er das? Patrick Healy, der Meinungsmann der «New York Times», erklärt den Kontext: Larry David reagiere damit auf seinen satirischen Kollegen Bill Maher, den er sonst schätze und über den er sich derzeit aufrege. So gab Maher kürzlich im Fernsehen bekannt, er habe sich mit Donald Trump zum Essen getroffen und diesen als «gracious and measured» empfunden, wohlwollend und massvoll.
Wir Schweizer denken etwas weiter, wenn wir Larry Davids Besuch bei Adolf Hitler nachverfolgen. Nämlich an das Lied von Franz Hohler, dem Schweizer Satiriker, bei dem man nur den Titel hören muss, um sich den ganzen Song vorzustellen, und der Titel lautet: «Sie sind alle so nett».
Josef Stalin liess sich zu «Väterchen Stalin» verkitschen. Pol Pot war als Lehrer für sein Lachen bekannt. Idi Amin fiel als Offizier mit seinem witzigen Charakter auf. Möglicherweise gibt es nicht nur die Banalität des Bösen, wie Hannah Arendt zum Prozess von Adolf Eichmann schrieb, sondern auch die Bösen mit Heiterkeit. Und dem netten Empfang. Und den guten Tischmanieren.
Das ist es wohl, woran Larry David uns erinnert: dass zum Schlimmsten der Schrecklichen gehört, dass man ihnen das nicht immer anmerkt. Darum können sie es auch mit allen. Und machen jeden zum Komplizen, der bei ihnen am Tisch sitzt. Und mitlacht.
„Aargauer Zeitung“ von 25. April 2025