In seinen meisten Filmen tritt er auf, als spiele er sich selber: einen Nerd mit Hornbrille aus Brooklyn. Einen lustigen Atheisten, der Baseball mit Kierkegaard versöhnt und Groucho Marx mit Ingmar Bergman. Einen bekennenden jüdischen Neurotiker, der jahrzehntelang auf der Couch lag.
Woody Allen: der kleine, schmale Mann, der die schönen Frauen kriegt. Der aufgeweckte Bub, der die Schule hasste, weil seine Lehrer gegen die Juden hetzten. Der Komiker, der schon mit sechzehn Jahren als Schreiber von Witzen mehr verdiente als seine Eltern. Der dauernd Ideen für Filme hatte, die er auf gelbem Papier, auf Servietten und Rechnungsbelegen notierte und in einer Nachttischschublade aufbewahrte. Der seine Drehbücher auf einer kleinen Schreibmaschine schrieb und beinahe jedes Jahr einen Film drehte. Der ohne Drogen auskam und ohne Starallüren, der das Lob nicht suchte und die Preisverleihungen mied. Der von seinem ersten Film an als Regisseur unabhängig arbeitete, weil er alle Termine und Budgets einhielt. Der dafür die Kontrolle über seine Filme behalten konnte. Als Drehbuchautor, Schauspieler, Regisseur, Komiker, Dramatiker und Musiker.
Er sieht als Schauspieler so unscheinbar aus und dreht seine Filme mit einer so einfach wirkenden Leichtigkeit, dass man gar nicht merkt, was für ein grossartiger Beobachter er ist, wie genau er den Menschen zuschaut, wenn sie miteinander zu tun haben. Wie vielfältig angelegt die Geschichten sind, die er uns erzählt. Und was für unterschiedliche Figuren er geschaffen hat.
Was sie gemeinsam haben, geht ihm selber ab: Sie lieben das Leben, unter dem sie leiden. Er selber kann nicht ertragen, dass es einmal zu Ende gehen wird. Als ihn ein französischer Journalist in Cannes fragte, wie er seine Beziehung zum Tod beschreiben würde, gab er zurück: «Meine Beziehung zum Tod bleibt dieselbe: Ich bin komplett dagegen.»
Das kam, wie so oft bei ihm, als leichte Pointe zu einem schweren Thema daher. Dabei meint er seinen Satz ernst. Er sei in jenem Moment von einem fröhlichen zu einem missmutigen Kind geworden, sagte er einmal, als er sich seiner Sterblichkeit bewusst geworden sei. Diese Erkenntnis, die er sein Leben lang als einen Skandal empfand, ergriff ihn mit sechs Jahren. Dass er einen Film nach dem anderen dreht, begründet er auch mit dem Versuch, den Tod vor sich herzuschieben.
Woody Allen ist vom Tod besessen; er sieht ihn als Synonym für die Sinnlosigkeit des Lebens. Wie wenig der Regisseur von der menschlichen Existenz hält, hat er immer wieder thematisiert, manchmal hört man seine Klagen im selben Wortlaut, von «Hannah and Her Sisters» bis zu «Whatever Works».
Allen thematisiert seinen Fatalismus schon am Anfang seines berühmtesten Filmes – und wiederholt die Aussage, wenn auch milder und als Frage formuliert, in seinem letzten. Sein berühmtester Film bleibt sein zehnter: «Annie Hall» von 1977, der ihn als Regisseur, Drehbuchautor und stereotypisch linkischen, psychoanalytisch durchbehandelten New Yorker Juden weltbekannt machen sollte. Der Film, dessen Drehbuch er mit seinem Freund Marshall Brickman geschrieben hatte, brachte ihm vier Oscars ein. Und wird von vielen für seinen besten gehalten.
Zu Beginn von «Annie Hall» muss Alvy Singer, die Hauptfigur des Films, als Junge zum Psychiater. Seine Mutter hat ihn dorthin gezerrt, eine cholerische und überfürsorgliche jüdische mame. Ihr Sohn sei deprimiert und mache nichts mehr, sagt sie. «Das Universum weitet sich aus», gibt der Junge zurück, also werde es eines Tages auseinanderbrechen. «Was geht dich das an?», zischt die Mutter. Dem Psychiater klagt sie, ihr Sohn mache seine Hausaufgaben nicht mehr. «What’s the point?», fragt der zurück.
43 Jahre, 39 Filme und eine jahrzehntelange Psychoanalyse später scheint Woody Allen nicht viel weitergekommen zu sein. Den Eindruck vermittelt der Filmexperte Mort Rifkin (Wallace Shawn) im Film «Rifkin’s Festival» von 2020. Als Mort mit seiner entfremdeten Frau im spanischen San Sebastián das Hotelzimmer bezieht – sie sind wegen des Filmfestivals der Stadt hergeflogen –, setzt er sich aufs Bett und fragt unvermittelt: «What’s this all about?»
Wallace Shawn tritt meistens als Nebendarsteller auf, etwa in Allens «Radio Days» von 1987. Indem der Regisseur den Schauspieler in seinem letzten Film zur Hauptfigur machte, weckte er bei der Kritik den Verdacht, er könne keine Stars mehr für seine Filme gewinnen, weil diese nicht mehr mit ihm drehen wollten.
Tatsächlich haben sich berühmte Schauspielerinnen und Schauspieler von Woody Allen distanziert. Sie haben gesagt, dass sie die Arbeit mit ihm bereuten und keinen Film mehr mit ihm drehen wollten. Was zur Frage führt, warum sie überhaupt bereit gewesen waren, mit ihm zu drehen. Zu den Abgefallenen gehören Colin Firth, Greta Gerwig, Rebecca Hall, Peter Sarsgaard, Michael Caine oder Mira Sorvino. Andere wie Jeff Daniels oder Cate Blanchett bleiben ambivalent, möchten es sich also mit keiner Seite verderben. Wieder andere stehen weiterhin zum Regisseur, darunter Kate Winslet, Javier Bardem, Diane Keaton, Scarlett Johansson, Alec Baldwin, Larry David, Alan Alda oder Jude Law.
Aber es stimmt: In Amerika kommt Allen mit seinen Filmen immer schlechter an. Mit ein Grund, warum er zunehmend in europäischen Städten und mit europäischem Geld gedreht hat: London, Barcelona, Paris, Rom. Mit ein Grund auch, wie er kürzlich im Gespräch mit dem Schauspieler Alec Baldwin bekanntgab, dass sein fünfzigster Film, an dem er derzeit arbeitet, vermutlich sein letzter sein werde. «Es macht keinen Spass mehr», sagte er.
Im selben Interview bestätigte der Regisseur, warum er seine Freude am Drehen verloren habe: wegen der anhaltenden Diffamierung aufgrund eines Vorwurfs, mit dem der heute 86-Jährige seit dreissig Jahren belangt wird. Er habe seine Adoptivtochter Dylan, als diese sieben Jahre alt war, sexuell belästigt. Die Rede geht von einer zwanzig Minuten dauernden Episode, die sich an einem Samstag im August 1992 abgespielt haben soll: im Estrich des Landhauses von Mia Farrow in Connecticut.
Die ehemalige Freundin bleibt Woody Allens grösste Feindin: Mia Farrow, die Schauspielerin, mit der er dreizehn Filme drehte, manche von ihnen gehören zu seinen besten. Die Liebesbeziehung des prominenten Paars, das zwölf Jahre zusammen war, ohne zusammenzuleben, endete Anfang der neunziger Jahre in einer bitteren, in die Öffentlichkeit gezerrten, von Blitzlichtern, Anwälten, Ärztinnen, Polizisten und Richtern kommentierten Trennung.
Obwohl der Vorwurf der sexuellen Belästigung von zwei Gerichten und zwei psychiatrischen oder psychologischen Fachorganisationen zurückgewiesen wurde, wiederholen ihn Mia Farrow, Adoptivtochter Dylan und Sohn Ronan bei jeder Gelegenheit. Der Beschuldigte bestreitet den Vorwurf bis heute und bezeichnet die Anklage als Racheakt seiner ehemaligen Freundin.
Die Farrows begründen ihre Behauptung unter anderem mit dem Umstand, dass Allen mit Mias Adoptivtochter Soon-Yi Previn im Dezember 1982 eine Affäre begonnen hatte. Allen war damals 56, Soon-Yi 21 Jahre alt. Vor allem wirft ihm Mia vor, sich Tochter Dylan gegenüber zudringlich verhalten zu haben.
Dass Woody der Schuldige und Dylan die Geschädigte sei, behauptet auch die vierteilige, vom Bezahlsender HBO im letzten Jahr ausgestrahlte Dokumentation «Allen v. Farrow». Dabei verspricht der Titel eine Fairness, welche die Serie nicht einhält. Das hat mit der Absicht der beiden Regisseure zu tun. Sie verstehen sich als Opferjournalisten, was Kirby Dick und Amy Ziering so interpretieren, dass ihre Meinung schon vor den Recherchen feststeht. Weshalb ihre dreijährige Arbeit an der Dokumentation von Anfang an darauf hinauslief, Woody Allen mit Mia Farrows Hilfe als Belästiger zu entlarven.
Vergeblich hat der Beschuldigte in Interviews, Gastartikeln, in Robert Weides Dokumentation über ihn und in seiner Autobiografie mit dem mehrdeutigen Titel «Apropos of Nothing» dagegengehalten. Auch Allens Adoptivsohn Moses hat den Vater in einem langen, offenen Brief verteidigt, und der Sohn war an jenem Augusttag selber im Haus gewesen, mit dem Auftrag, den Vater zu überwachen. Zudem haben mehrere von Mia Farrows Adoptivkindern darauf hingewiesen, dass sie es war, die ihre Kinder wiederholt misshandelte; drei von ihnen starben später an den Folgen ihrer Drogensucht oder an Selbstmord.
Aber weder der wiederholte Freispruch von Woody Allen noch die Rachemotive von Mia Farrow und ihr eigenes Verhalten den Kindern gegenüber vermochten Allen vom Pauschalverdacht zu befreien, ein Kinderschänder zu sein. Dass Pädosexuelle Wiederholungstäter sind und Woody Allen kein einziges Mal in seinem ganzen Leben sexueller Missbrauch oder schon nur das Anmachen von Schauspielerinnen, geschweige denn von Kindern, vorgeworfen wurde mit Ausnahme jener unbewiesenen zwanzig Minuten, hat ihm bis heute nichts genützt.
Denn moralisch ist der Regisseur erledigt. Und muss zur Kenntnis nehmen, dass sich viele in seiner Heimat von ihm abgewandt haben. Amazon hat die Zusammenarbeit mit ihm eingestellt; Allens Filme laufen in den USA, wenn überhaupt, nur noch in wenigen Kinos; sein erster Verlag, Hachette, verweigerte nach einem Proteststreik seiner Angestellten die Veröffentlichung von Allens Autobiografie; und die amerikanische Boulevardpresse war schon damals auf ihn losgegangen.
Man wird die Vermutung nicht los, dass sich die Angriffe auf den Regisseur nicht mehr als Beleg für die offensichtliche Bedeutung von jMeToo als Instrument gegen die sexuelle Gewalt anführen lassen. Sondern dass Woody Allen grosses Unrecht widerfährt.
Natürlich trägt er eine Mitschuld. Dass ein 56-jähriger Mann mit der damals 21-jährigen Adoptivtochter seiner Lebenspartnerin eine Affäre begonnen hatte, wirkt bizarr, um nicht zu sagen, abstossend. Dass Allen in seine Adoptivtochter Dylan vernarrt war, hat auch einer der Richter erwähnt. Obwohl er einen sexuellen Missbrauch ausdrücklich ausschloss, bezeichnete er das Verhalten des Adoptivvaters dem Kind gegenüber als «grossly inappropriate», auf grobe Weise unangemessen.
Und natürlich weiss Allen als Regisseur und Selbstdarsteller, wie er das Publikum mit seinen Filmen für sich einnehmen kann. In ihnen inszeniert er sich als witzigen, aber auch hilflosen und also schwachen Mann, dem man ein Scheusal zu sein keinesfalls zutraut. Vielleicht würde man heute, nach dem Prozess von Johnny Depp und Amber Heard, weniger eindeutig denken, als es damals der Fall war.
Allerdings lassen sich Allens Auftritte auch als Ablenkung von seiner Filmrolle interpretieren. Denn alle Leute, die den Regisseur kennen, nehmen ihn anders wahr, als er sich in seinen Filmen darstellt. Aus den Einschätzungen, die der Biograf David Evanier zusammengetragen hat, ergibt sich folgendes Bild: Es stimmt zwar, dass Woody Allen scheu ist. Aber er weiss genau, was er will, tritt selbstbewusst auf und verkündet seine Positionen mit Bestimmtheit. Kritiken liest er keine, hört aber auf Kritiker, die er bewundert. Er wird als postfreudianischer Intellektueller gehandelt, las aber als Kind vor allem Comics und kennt sich in der Bücherwelt der Intellektuellen nicht aus. Dennoch hat er die Autorität eines Künstlers.
Denn obwohl er mit seinen Schauspielern nicht probt, sie beim Drehen kaum je anleitet und sie sogar ermuntert, seinen Text abzuändern, wenn ihnen etwas Besseres einfällt, spüren alle auf dem Set, wie er etwas haben möchte. Entscheidend bleibt für ihn, rechtzeitig heimzukommen. Seine wichtigste Regieanweisung gehe so, hat der Schauspieler John Cusack erfahren: «Heute Abend spielen die Knicks.»
Das klingt etwas unmotiviert. Dennoch bleibt Woody Allen ein grosser Regisseur. Die Hetzjagd, der er seit Jahrzehnten ohne jeden Beweis ausgesetzt bleibt, macht das Werk eines Künstlers vergessen, der mehr Filme geschrieben, gedreht und in vielen von ihnen gespielt hat als fast jeder andere Regisseur seiner Zeit, zumindest in dieser Qualität. Die meisten von uns haben über ein Dutzend seiner Filme gesehen und geliebt; von wie vielen seiner Kollegen können wir dasselbe sagen?
Da waren die Komödien der frühen Jahre, Slapstickfilme mit schlagfertigen Dialogen, also doppelt lustig. Allen selber findet sie oberflächlich und war froh, mit «Annie Hall» einen Film zu drehen, in dem die Liebe wichtiger ist als das Lustigsein. Die Beziehungen zwischen den Menschen haben ihn schon immer interessiert, und je mehr Filme er drehte, desto intensiver ging er auf sie ein.
Trotz dieser psychologischen Vertiefung hält er wenig von seiner Arbeit. Er sei bestenfalls «das Salatblatt unter dem Hamburger», hat er sich einmal im Vergleich zu den europäischen Regisseuren bezeichnet, die er bewundert.
Bestes Beispiel für seine geringe Meinung von sich selber ist «Manhattan», seine vom Kameramann Gordon Willis so grossartig gedrehte, schwarzweisse Hymne auf New York. Nachdem Allen den Film fertiggestellt hatte, verlangte er von seiner Firma United Artists, sie sollten ihn gar nicht erst herausbringen, weil er so schlecht sei. Er würde seinen nächsten Film sogar gratis für sie drehen.
Aber auch wenn man sich die frühen Filme von ihm wieder ansieht, fällt auf, wie lustig sie immer noch sind, Filme wie «Take the Money and Run», «The Sleeper», «Love and Death» und andere. Sie bestätigen, was Drehbuchautoren, aber auch Schauspielerinnen, Talkshow-Hosts und Regisseure früh erkannt haben: dass Woody Allen zu den grössten Komikern Amerikas gehört.
Aber wie er es selber sagt: Er kann sich an seinem Talent nicht freuen. Er wäre lieber ein grosser Dramatiker als ein guter Komiker, sagt er. Immerhin konnte er sich auch mit ernsten oder halbernsten Filmen profilieren. Einer der schönsten gelang ihm mit «Husbands and Wives» von 1992, sein letzter mit Mia Farrow. Die letzten Drehtage waren für sie besonders schwer zu überstehen, weil sie in Allens Wohnung Nacktbilder von Soon-Yi entdeckt hatte, ihrer Adoptivtochter. Unabhängig davon gelang Allen als Regisseur, was kaum einem Komiker oder einer Komikerin vor ihm gelungen ist: auch mit Dramen zu überzeugen.
Zwar wurde «Interiors» von 1978, Allens erster Versuch, einen ernsten Film zu drehen, als schwerfällige Bergman-Kopie verrissen. «Meine Dialoge klangen wie Untertitel», sagte er selber dazu. Aber bis in sein Spätwerk hinein machte er vor, wie gut er mit dramatischen Stoffen und sogar mit Krimis umgehen konnte. Mit «Blue Jasmine», an «A Streetcar Named Desire» orientiert, dem Theaterstück von Tennessee Williams, gelang ihm das beklemmende, von Cate Blanchett brillant gespielte Porträt einer gescheiterten Aufsteigerin, die bei ihrer Schwester unterkommen muss. Und mit «Crimes and Misdemeanors» brachte er es sogar fertig, einen komischen mit einem tragischen Erzählstrang zu kombinieren. Mit sich selber als Figur, die zwischen beiden Strängen oszilliert.
Woody Allen polarisiert, unabhängig von den Vorwürfen des Farrow-Clans. Seine meisten Filme handeln von reichen weissen New Yorkern. Viele Zuschauer halten Allen schon als Schauspieler nicht aus, sein dilettantisches Herumstolpern, seine manisch gestikulierende Art, die hohe, quengelnde Stimme, das Pathos des Versagens, die routiniert bescheidene Selbstabwertung bei gleichzeitiger Besessenheit mit jungen Frauen. Der Mann kann nerven, wenn sein Spiel fahrig wirkt, zum Tick verkommt, zur Selbstparodie.
Umso mehr schätzt man die Bereitschaft von ihm, sich bei Bedarf zurückzunehmen. Viele von Woody Allens Filmen überzeugen gerade deshalb, weil er nicht in ihnen auftritt. Wohl im Wissen, dass er als Schauspieler zu eingeschränkt ist und trotzdem alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dass es ihn als Schauspieler nicht braucht, um als Drehbuchautor und Regisseur zu überzeugen – so viele Filme von ihm haben das gezeigt, von «Bullets Over Broadway» zu «The Purple Rose of Cairo», von «Another Woman » mit Gena Rowlands zu «Café Society» mit Jesse Eisenberg.
Der letztgenannte Film, eine melancholische, berückend schön gefilmte Tragikomödie zwischen Los Angeles und New York, belegt, worin sich Woody Allen ebenfalls von den meisten seiner Kolleginnen und Kollegen abhebt: mit einem Spätwerk, bei dem er, von Ausnahmen abgesehen, sowohl als Drehbuchautor wie auch als Regisseur ein hohes Niveau beibehalten hat. Und das trotz seinem ruhelosen Hang, einen Film nach dem anderen zu drehen.
Welcher andere Regisseur hat nach Dutzenden von Filmen einen solchen gedreht wie «Whatever Works» mit dem brillant besetzten, scharfsinnigen Larry David? Wer konnte nach all den frühen lustigen Komödien das Publikum noch so zum Lachen bringen wie Woody Allen mit «To Rome With Love»?
Natürlich sind ihm manche Filme missglückt oder wurden verrissen. Aber jedes Mal, wenn Allens Arbeit schlecht ankam, zum Beispiel beim umstrittenen, aber auch mutigen und bei der Veröffentlichung unterschätzten Bekennerfilm «Stardust Memories» von 1980, reagierte er darauf mit einem so grossartigen Nachfolger wie «A Midsummer Night’s Sex Comedy», seiner Hommage an und seiner Parodie von William Shakespeare. Auf «You Will Meet a Tall Dark Stranger», mit dem er trotz Staraufgebot ein Millionendefizit produzierte, folgte «Midnight in Paris», sein bis heute erfolgreichster Film, von Kritik und Publikum gleichermassen geliebt.
Woody Allen hat im Laufe seiner langen Karriere in fast allen Genres überzeugt – Komödien, Tragikomödien, Krimis, historischen Stoffen, Doku-Dramen und Dramen. Heute wenden sich Schauspielerinnen und Schauspieler von ihm ab, während Jahrzehnten wollten sie unbedingt mit ihm drehen, Allen bekam alle, die er haben wollte. Heute wird er von manchen von ihnen behandelt wie einer, dessen man sich schämen muss. Die öffentliche Meinung ist ihnen wichtiger als die Dankbarkeit, die sie ihm schulden müssten.
Denn sie konnten in seinen besten Filmen als Schauspielerinnen und Schauspieler zeigen, was der Regisseur so aufmerksam beobachtet: was es heisst, eine Beziehung einzugehen. Woody Allen wurde als Mann für das Scheitern seiner Partnerschaft mit Mia Farrow dermassen schlechtgemacht, dass man fast vergessen hat, wie gut er unsere Beziehungen beschreibt: was uns zusammenbringt und zusammenhält. Und was uns wieder trennt.